Zum Beitrag Untersuchungsaufforderungen zur Überprüfung der Dienstfähigkeit nicht (mehr) isoliert überprüfbar gibt es eine weitere wichtige Neuigkeit:

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden (Beschluss vom 11. Juni 2021 – OVG 4 S 6/21), dass Untersuchungsanordnungen im Zurruhesetzungsverfahren isoliert angreifbar sind. Dabei nimmt es ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 21. Oktober 2020 – 2 BvR 652/20 – und Kammerentscheidungen gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG vom 13. Mai 2020 – 2 BvR 652/20 – und vom 12. August 2020 – 2 BvR 1427/20 –) Bezug.

Da sich das OVG im Wesentlichen der Argumentation des erstinstanzlichen Verwaltungsgerichts (VG Potsdam, Beschluss vom 06. Januar 2021 – 2 L 1170/20) anschließt, soll dessen ausführliche Begründung wiedergegeben werden:

Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. März 2019 – 2 VR 5.18 -, juris Rn. 17 ff., die Auffassung vertreten, es handele sich bei einer Untersuchungsanordnung um eine Verfahrenshandlung im Sinne von § 44a Satz 1 VwGO, für welche auch nicht ausnahmsweise nach § 44a Satz 2 VwGO ein isolierter Rechtsbehelf nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft sei.

Dieser Auffassung folgt die Kammer nicht, denn es ist zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) geboten, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als statthaft anzusehen. Die Bewertung des Bundesverwaltungsgerichts, der Beamte könne zumutbar auf die Möglichkeiten zur tatsächlichen Nichtbefolgung der Untersuchungsanordnung und eines späteren Rechtsschutzes gegen eine etwaige Zurruhesetzungsverfügung des Dienstherrn verwiesen werden, überzeugt nicht.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob einem Beamten, der eine Untersuchungsanordnung nicht befolgt, ernsthaft eine Disziplinarmaßnahme droht oder ob der in der Nichtbefolgung liegende Pflichtenverstoß im Falle der Rechtswidrigkeit der Untersuchungsanordnung regelmäßig sanktionslos bleiben würde, s. dazu BVerwG, Beschluss vom 14. März 2019, a. a. O., Rn. 29.

Ausgangspunkt für die Frage, ob der Beamte zwecks Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes auf die Möglichkeit des insolierten Rechtsbehelfs gegen die Untersuchungsanordnung angewiesen ist, muss nämlich der sich rechtmäßig verhaltende Beamte sein. Diesen trifft, wovon auch das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich ausgeht, a. a. O., Rn. 26, das dienstrechtliche Gebot, der Untersuchungsanordnung – unabhängig von deren Rechtmäßigkeit – Folge zu leisten. Den Beamten auf die Möglichkeit zu verweisen, sehenden Auges ein Dienstvergehen begehen und die Untersuchungsanordnung missachten zu können, scheidet danach aus. Ein solches Vorgehen mit Blick darauf für zumutbar zu erachten, der Pflichtenverstoß werde im Falle der Rechtswidrigkeit der Untersuchungsanordnung voraussichtlich sanktionslos bleiben, wäre widersprüchlich: Die Rechtsordnung verlangt von dem Beamten vielmehr auch das Unterlassen solcher Dienstpflichtverletzungen, die voraussichtlich keine disziplinarischen oder sonstigen dienstrechtlichen Sanktionen nach sich ziehen würden. Vgl. auch HessVGH, Beschluss vom 11. August 2020 – 1 B 1846/20 -, juris Rn. 18.

Dass dem Beamten Rechtsschutz gegen eine etwaige später ergehende Zurruhesetzungsverfügung zustehen würde, lässt das Erfordernis, zur Erlangung effektiven Rechtsschutzes schon isoliert gegen die Untersuchungsanordnung vorgehen können zu müssen, gleichfalls nicht entfallen. Das Bundesverwaltungsgericht selbst geht davon aus, dass der Beamte das Untersuchungsergebnis auch im Falle der Rechtswidrigkeit der Untersuchungsanordnung gegen sich gelten lassen muss, Beschluss vom 14. März 2019, a. a. O., Rn. 34.

Dem – sich dienstpflichtgemäß verhaltenden – Beamten wird damit im Kern abverlangt, den in der Untersuchung liegenden Grundrechtseingriff, obgleich er wegen der Rechtswidrigkeit der Untersuchungsanordnung rechtswidrig erfolgt ist, hinzunehmen. Effektiver Rechtsschutz zur Verhinderung des rechtswidrigen Grundrechtseingriffs und überhaupt nur zur Feststellung der Rechtswidrigkeit des Eingriffs wird dem Beamten hiernach versagt. Dasselbe gilt, wenn die dem Beamten rechtswidrig abverlangte ärztliche Untersuchung die Dienstfähigkeit des Beamten zum Ergebnis hat und daher nicht in eine Zurruhesetzungsverfügung mündet: Dem Beamten steht in der Konsequenz der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (auch) dann (nachträglich) keinerlei Rechtsschutz gegen die rechtswidrig veranlasste ärztliche Untersuchung zur Seite, insbesondere auch kein „Inzidentrechtsschutz“, vgl. aber BVerwG, a. a. O., Rn. 37.

Die Kammer folgt auch nicht der Annahme, aus dem Charakter des Beamtenverhältnisses als einem besonderen wechselseitigen Treue- und Pflichtenverhältnis folge, dass der Beamte auf die Belange seines Dienstherrn insoweit Rücksicht nehmen müsse, als er sich einer angeordneten ärztlichen Untersuchung ohne isolierten Rechtsschutz unterziehen müsse, um dem Dienstherrn im Interesse der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes eine zügige Durchführung eines Zurruhesetzungsverfahrens zu ermöglichen. So BVerwG, a. a. O., Rn. 36.

Diese Annahme wird dem Gewicht des in Rede stehenden Grundrechtseingriffs – einer zwangsweisen ärztlichen Untersuchung, die gegebenenfalls (wie die vorliegend dem Antragsteller abverlangte psychiatrischen Untersuchung) tiefgreifend sein allgemeines Persönlichkeitsrecht betrifft – nicht gerecht, zumal regelmäßig lediglich eine Verzögerung des Abschlusses des Zurruhesetzungsverfahrens um wenige Wochen oder Monate zu besorgen ist. Der Beamte muss daher, bevor er sich der Untersuchung unterzieht, überprüfen lassen können, ob der Dienstherr ihm die Untersuchung rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig abverlangt. Die inhaltlichen Anforderungen an die Untersuchungsanordnung dienen gerade – wie das Bundesverfassungsgericht jüngst ausdrücklich hervorgehoben hat – dazu, „dem Beamten effektiven Rechtsschutz noch vor dem Untersuchungstermin zu ermöglichen“, BVerfG, Beschluss vom 21. Oktober 2020 – 2 BvR 652/20 -, juris Rn. 35.

Dies würde unterlaufen, wollte man mit dem Bundesverwaltungsgericht vorläufigen (isolierten) Rechtsschutz gegen die Untersuchungsanordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO gemäß § 44a VwGO für ausgeschlossen halten. Vgl. gegen die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch OVG RP, Beschluss vom 29. Oktober 2020 – 2 B 11161/20 -, juris Rn. 6 ff., und HessVGH, a. a. O., juris Rn. 14 ff.

Damit haben sich bereits drei Oberverwaltungsgerichte gegen die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gewandt. Ob ein Eilantrag gegen eine Untersuchungsanordnung erfolgversprechend ist, hängt dementsprechend bislang auch davon ab, wie sich die örtliche Verwaltungsgerichtsbarkeit zu dieser Frage verhält. Ob und wann das Bundesverwaltungsgericht Gelegenheit hat, zu dieser Frage erneut Stellung zu nehmen, ist nicht absehbar.

 

Martin Brilla
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht

 

 

Martin Brilla · Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht

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