Dauernde Einwirkungen führen nicht zu einem Dienstunfall

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 12.12.2019 (Az. 2 A 1.19) klargestellt, dass das Merkmal „plötzlich“ in der Legaldefinition des Dienstunfalls in § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG nur bei kurzzeitigen Begebenheiten erfüllt ist.

§ 31 Abs. 1 Satz 1 des Beamtenversorgungsgesetzes – BeamtVG) definiert den Dienstunfall als

ein auf äußerer Einwirkung beruhendes,
plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares,
einen Körperschaden verursachendes Ereignis,
das in Ausübung des Dienstes eingetreten ist.

Das Bundesverwaltungsgericht führt insofern aus:

„Das Merkmal „plötzlich“ in § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG dient der Abgrenzung eines Einzelgeschehens von dauernden Einwirkungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. November 1960 – 6 C 144.58 – BVerwGE 11, 229 <230>; Beschluss vom 19. Januar 2006 – 2 B 46.05 – Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 17 Rn. 6; vgl. auch: Groepper/Tegethoff, in: Plog/Wiedow, Band 2 BeamtVG, Stand Juni 2017, § 31 Rn. 36). Es kommen nur einmalige, kurzzeitige Begebenheiten in Betracht, die sich allerdings häufen können. Schädliche Dauereinwirkungen sind grundsätzlich kein plötzliches Ereignis. Die Abgrenzung von der Dauersituation bedarf einer wertenden Betrachtung. Begebenheiten mit einer Dauer von mehreren Stunden, wie z.B. ein Unwetter, können plötzliche Ereignisse sein, sich über mehrere Dienstschichten oder Tage hinziehende Ereignisse hingegen nicht (Groepper/Tegethoff, in: Plog/Wiedow, Band 2 BeamtVG, Stand Juni 2017, § 31 Rn. 36 f. m.w.N.). Psychische Erkrankungen beruhen in aller Regel nicht auf einem plötzlichen, örtlich und zeitlich bestimmbaren Ereignis im Sinne des § 31 BeamtVG (BVerwG, Beschluss vom 19. Februar 2007 – 2 B 19.07 – juris Rn. 8).“

Die Kernsätze:

    • Schädliche Dauereinwirkungen sind grundsätzlich kein plötzliches Ereignis.
    • Sich über mehrere Dienstschichten oder Tage hinziehende Ereignisse können keine plötzlichen Ereignisse sein.
    • Psychische Erkrankungen beruhen in aller Regel nicht auf einem plötzlichen, örtlich und zeitlich bestimmbaren Ereignis im Sinne des § 31 BeamtVG.

Der beim Bundesnachrichtendienst (BND) tätige Beamte war mehrfach im Ausland eingesetzt, u.a. im Irak, in Pakistan und in Afghanistan. Nach dem Beschuss seiner Unterkunft entwickelte er Schlafstörungen, verlor wegen Appetitlosigkeit stark an Gewicht, zog sich nach der Rückkehr aus dem Irak sozial zurück und trank vermehrt Alkohol, um das Geschehene zu vergessen. Eine Dienstunfallmeldung erstattete er seinerzeit nicht.

Über 10 Jahre später zeigte der Kläger seinem Dienstherrn an, in Ausübung seines Dienstes einen Dienstunfall erlitten zu haben. Bei einem Einsatz in Afghanistan als Bürosachbearbeiter habe er mehrfach über mehrere Wochen allein in der Dienstunterkunft den Dienst versehen müssen. Hinzugekommen sei grenzüberschreitendes Verhalten von Kollegen, infolge dessen er seinen Dienst in Afghanistan hätte abbrechen und sich in ärztliche Behandlung begeben müssen. Ein mit der Unfallmeldung überreichter fachärztlicher Bericht diagnostizierte eine schwere depressive Episode F 32.2, eine Posttraumatische Belastungsstörung F 43.1 und Dysthymie F 34.1.

Kein plötzliches Ereignis

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Klage auf Anerkennung eines Dienstunfalls und der Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen abgewiesen. Es liege kein plötzliches Ereignis vor. Schon der Zeitraum von ca. fünf Wochen sei zu lang, um die Plötzlichkeit eines Ereignisses annehmen zu können. Auch die vom Kläger geschilderten Belastungen in Afghanistan seien Dauerbelastungen: „Ein plötzliches Ereignis kann nicht Jahre dauern.“

Auch die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gebiete kein anderes Ergebnis, denn die vom Gesetzgeber getroffene abstrakt-generelle Regelung (das Beamtenversorgungsgesetz) dürfe nicht unter Berufung auf die allgemeine Fürsorgepflicht überspielt und eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Rechtsfolge gefordert werden. Die Nichtgewährung von Dienstunfallfürsorgeleistungen bei Unfällen oder Krankheiten im dienstlichen Kontext verletze im Übrigen nicht per se die Fürsorgepflicht des Dienstherrn:

„Der Fürsorgegrundsatz gebietet nicht, dass über die Alimentation (Besoldung oder Versorgung) und Beihilfegewährung hinaus zwingend weitere Leistungen zu gewähren sind, wenn ein Beamter infolge dienstlicher Umstände erkrankt. Auch im Falle seiner Erkrankung ist die amtsangemessene Alimentation des Beamten sowie die angemessene Übernahme der durch den Körperschaden oder die Krankheit entstehenden Kosten über die genannten Leistungen gewährleistet“.

Dies ist nicht überraschend, denn sie entspricht der langjährigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte. Infolge ihrer Klarheit und Prägnanz wird sie diese Haltung weiter festigen.

 

Martin Brilla
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht

 

 

Martin Brilla · Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht

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