Mit Beschluss vom 10.9.2020 (Az. 1 B 635/20) hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) bestätigt, dass die Stelle des Präsidenten/der Präsidentin des Oberlandesgerichts Köln vorläufig nicht mit dem ausgewählten Bewerber besetzt werden darf.

Auf Antrag der Konkurrentin des ausgewählten Bewerbers (dem Präsidenten eines Landgerichts mit der Besoldungsgruppe R 6) hatte bereits das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen dem Land NRW im Wege einer einstweiligen Anordnung untersagt, die Stelle mit dem ausgewählten Bewerber zu besetzen, bevor über die Bewerbung der Antragstellerin (ebenfalls Präsidentin eines Landgerichts mit der Besoldungsgruppe R 6) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu entschieden worden ist (Beschluss vom 20.4.2020 – 12 L 1799/19).

Zwar liegen die Entscheidungsgründe des OVG NRW noch nicht vor, doch aus der Pressemitteilung geht hervor, dass die erstinstanzliche Entscheidung auch inhaltlich bestätigt wird: Das VG Gelsenkirchen habe zu Recht angenommen, dass die dienstliche Beurteilung des Beigeladenen nicht auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage beruhe und deshalb keine tragfähige Grundlage für eine Auswahlentscheidung nach den Grundsätzen der Bestenauslese darstelle. Der Beurteiler des Beigeladenen – der Präsident des zuständigen Oberlandesgerichts – habe für einen nicht unbedeutenden Teil des Beurteilungszeitraums, nämlich für die gut acht Monate umfassende Zeitspanne vor seinem Amtsantritt als Präsident, kein eigenes hinreichendes Bild von den Leistungen des ausgewählten Bewerbers gehabt. Dem sei das Land Nordrhein-Westfalen nicht durchgreifend entgegengetreten.

Hintergrund ist das Prinzip der Bestenauslese: Ein Leistungsvergleich ist nur bei inhaltlich aussagekräftigen dienstlichen Beurteilungen möglich. Diese müssen die dienstliche Tätigkeit im maßgebenden Beurteilungszeitraum vollständig erfassen, auf zuverlässige Erkenntnisquellen gestützt sein, das zu erwartende Leistungsvermögen in Bezug auf das angestrebte Amt auf der Grundlage der im innegehabten Amt erbrachten Leistungen hinreichend differenziert darstellen sowie auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhen.

Da der Beurteiler häufig nicht in der Lage ist, sich ein eigenes (vollständiges) Bild von den Leistungen des zu beurteilenden Beamten bzw. Richters zu machen, muss er sich die fehlenden Kenntnisse anderweitig beschaffen. Dazu dienen regelmäßig Beiträge der früher für die Beurteilung Zuständigen, aber auch anderer Personen, die die Dienstausübung des Beamten/Richters aus eigener Anschauung kennen.

Diese Verpflichtung des Beurteilers gilt auch dann, wenn er für den überwiegenden Teil des Beurteilungszeitraums über aus eigener Anschauung gewonnene Erkenntnisse verfügt und/oder er sich trotz fehlender eigener Anschauung zutraut, den Beamten/Richter zutreffend einzuschätzen.

Im entschiedenen Fall verfügte der Beurteiler für einen nicht unbedeutenden Teil des Gesamtbeurteilungszeitraums (8 von 75 Monaten) über kein eigenes hinreichendes Bild von den Leistungen des Beigeladenen. Trotzdem hatte er sich insoweit keine weiteren Informationsquellen verschafft, obwohl dies tatsächlich und rechtlich möglich gewesen wäre.

Das VG Gelsenkirchen stellt insofern klar, dass der Vizepräsident des OLG eine geeignete Informationsquelle für den Teilzeitraum ist. Auch wenn er ein um zwei Besoldungsgruppen niedrigeres Statusamt innehat als der zu beurteilende Präsident des Landgerichts, verfüge er als Vizepräsident des OLG über aussagekräftige Erkenntnisse über die Tätigkeiten des ausgewählten Bewerbers während des fraglichen Teilzeitraums, weil er die Aufgaben des Präsidenten des OLG vertretungsweise wahrgenommen hatte. Aufgrund seines Erfahrungshorizonts als Stellvertreter des Präsidenten dürfte er deshalb in der Lage sein, die Leistungen des ausgewählten Bewerbers in diesem Zeitraum dem zuständigen Beurteiler angemessen zu vermitteln.

Der Grundsatz, dass ein Beurteiler nicht ein niedrigeres Statusamt innehaben darf als der zu Beurteilende, sei nicht auf die einen Beurteilungsbeitrag liefernden Amtsträger übertragbar. Zum einen müsse die Ermittlung des Sachverhalts, auf den ein höchstpersönliches Werturteil gestützt werden soll, umfassend angelegt sein und dürfe zugängliche und greifbare Erkenntnisquellen nicht von vornherein aussparen. Zum anderen bestehe nicht die Gefahr, dass potenzielle Mitbewerber durch Erteilung einer schlechten Beurteilung benachteiligt werden. Denn die endgültige Erstellung der dienstlichen Beurteilung und damit sowohl die Entscheidung über die Bewertung der Einzelmerkmale als auch die Entscheidung über die Gesamtnote liegen verantwortlich in den Händen einer anderen Person, nämlich des Beurteilers. Sofern ein solches Konkurrenzverhältnis besteht, liegen die daraus erwachsenden Probleme auf der Hand und seien dem Beurteiler in der Regel auch bewusst, so dass er dies in seine Würdigung der erhaltenen Informationen mit einbeziehen kann.

Mehr zu diesem Thema können Sie in meinem Artikel „Die Rechtsprechung zur dienstlichen Beurteilung im Beamtenrecht“ im BÖR Report Nr. 4, S. 16 ff. lesen.

 

Martin Brilla
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht

 

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Martin Brilla · Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht

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