OVG NRW zu den Anforderungen an ein amtsärztliches Gutachten
Im Beschluss vom 24.7.2019 (6 A 696/17) hat sich das Oberverwaltungsgericht NRW u.a. zu den Anforderungen an ein im Zurruhesetzungsverfahren verwendetes amtsärztliches Gutachten geäußert:
Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung wird insoweit geltend gemacht, das amtsärztliche Gutachten vom 4. Mai 2015 vermittle die notwendigen sachlichen Grundlagen für eine Entscheidungsfindung nicht. Es sei nicht hinreichend und nachvollziehbar begründet. Ferner sei die Diagnose nicht hinreichend bestimmt. Überdies sei die Amtsärztin … nicht ausreichend befähigt, psychische und orthopädische Erkrankungen festzustellen. Die Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie … vom 27. April 2015 mache die Einholung eines psychiatrischen Fachgutachtens nicht entbehrlich. Mit dieser Kritik dringt der Kläger nicht durch.
Hinsichtlich eines im Zurruhesetzungsverfahren verwendeten (amts-)ärztlichen Gutachtens gelten folgende Anforderungen: Den Gesundheitszustand des Beamten feststellen und medizinisch bewerten muss der Arzt, die Schlussfolgerungen hieraus für die Beurteilung der Dienstfähigkeit zu ziehen ist dagegen Aufgabe der Behörde und ggf. des Gerichts. Der Arzt wird lediglich als sachverständiger Helfer tätig, um den zuständigen Stellen diejenige Fachkenntnis zu vermitteln, die für deren Entscheidung erforderlich ist. Ein im Zurruhesetzungsverfahren verwendetes (amts-)ärztliches Gutachten darf sich daher nicht darauf beschränken, nur ein Untersuchungsergebnis mitzuteilen. Es muss auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe enthalten, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Entscheidung über die Zurruhesetzung erforderlich ist. Danach muss das Gutachten sowohl die notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt, d.h. die in Bezug auf den Beamten erhobenen Befunde, darstellen als auch die aus medizinischer Sicht daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die Fähigkeit des Beamten, seinen dienstlichen Anforderungen weiter zu genügen.
Diesen Anforderungen genügt das Gutachten der Amtsärztin … Es ist zunächst hinreichend und nachvollziehbar begründet. Entgegen dem Zulassungsvorbringen enthält das Gutachten nicht lediglich eine Darstellung von Befunden und beschränkt sich auch nicht auf die bloße Mitteilung der Diagnose und eine Bewertung der Dienstfähigkeit, ohne die wesentliche Entscheidungsgrundlage für die Meinungsbildung erkennen zu lassen. Die Stellungnahme der Amtsärztin umfasst insgesamt fünf Seiten. Insbesondere in dem Abschnitt „Weitere Mitteilungen aus ärztlicher Sicht“ erläutert die Amtsärztin nachvollziehbar die Feststellungen und Gründe, die das in vorstehendem Abschnitt mitgeteilte Ergebnis tragen. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Diagnose auch nicht bereits deshalb unzureichend bestimmt, weil eine Klassifikation zur Systematisierung der Diagnosen anhand des ICD-Schlüssels nicht erfolgt sei. Die beim Kläger vorliegende psychische Erkrankung bezeichnet die Amtsärztin in dem Gutachten als schwere depressive Störung (mit daraus resultierenden erheblichen kognitiven und kommunikativen Beeinträchtigungen). Diese Diagnose lässt sich dem ICD-Schlüssel F.33-2 zuordnen. Dass dies in der Stellungnahme selbst nicht erfolgt ist, macht diese nicht unbrauchbar. Angesichts der diesbezüglich näheren Darlegungen der Amtsärztin geht das Zulassungsvorbringen, allein der Umstand, dass ein Beamter depressiv sei, führe nicht zwingend zu dessen Dienstunfähigkeit, am Streitfall vorbei. Ebenso wenig trifft der Vorwurf zu, es fehle „an jeglicher Klassifizierung und damit Differenzierung im Hinblick auf die Beurteilung der Depression und deren Relevanz für die Dienstunfähigkeit“.
Ferner fehlte der Amtsärztin nicht die Befähigung, psychische und orthopädische Erkrankungen festzustellen, zumal sie sich insoweit auf eine Reihe näher aufgeführter (fach-)ärztlicher Berichte stützen konnte, darunter hinsichtlich der beim Kläger vorliegenden psychischen Problematik namentlich auf die Stellungnahme des diesen behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie… Darin ist (näher) ausgeführt, bei dem Kläger habe sich eine manifeste depressive Störung und Angststörung seit über einem Jahr ausgebildet. Er sei in seiner deutlich eingeschränkten Leistungsfähigkeit und relativen Therapieresistenz schon seit mehreren Monaten dienstunfähig krankgeschrieben. Eine Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit erscheine sehr unwahrscheinlich. Dabei stellt es entgegen der Auffassung des Zulassungsantrags keinen (aufklärungsbedürftigen) „Widerspruch“ dar, dass der Facharzt den Begriff der „Leistungsfähigkeit“ verwendet hat. Anders als die Amtsärztin war er mit einer Stellungnahme zur Dienstunfähigkeit nicht beauftragt und deshalb nicht gehindert, auf jenen allgemein gebräuchlichen und verständlichen Begriff zurückzugreifen. Ungeachtet dessen stützen seine Ausführungen ersichtlich die Feststellungen der Amtsärztin; ein Widerspruch ist nicht ansatzweise erkennbar. Ob die orthopädischen Beschwerden des Klägers für sich allein die Annahme der Dienstunfähigkeit gerechtfertigt hätten, mag auf sich beruhen.
Kurz: Ein Gutachten bedarf nicht nur einer hinreichenden und nachvollziehbaren Begründung; die Amtsärztin muss auch befähigt sein, die im konkreten Fall maßgeblichen Erkrankungen festzustellen. Dies kann dann fraglich sein, wenn sie sich nicht auf fachärztliche Berichte stützt.
Zu den Anforderungen an (amts-)ärztliche Gutachten zur Dienstunfähigkeit hatte sich vor einigen Jahren auch das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 19.03.2015 – 2 C 37.13, Rn. 12) geäußert:
Den Gesundheitszustand des Beamten feststellen und medizinisch bewerten muss der Arzt, die Schlussfolgerungen hieraus für die Beurteilung der Dienstfähigkeit zu ziehen ist dagegen Aufgabe der Behörde und ggf. des Gerichts. Der Arzt wird lediglich als sachverständiger Helfer tätig, um den zuständigen Stellen diejenige Fachkenntnis zu vermitteln, die für deren Entscheidung erforderlich ist (vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 C 22.13 – BVerwGE 150, 1 Rn. 18 m.w.N.; hierzu auch Beschluss vom 6. März 2012 – 2 A 5.10 – RiA 2012, 165 f.). Ein im Zurruhesetzungsverfahren verwendetes (amts-)ärztliches Gutachten darf sich daher nicht darauf beschränken, nur ein Untersuchungsergebnis mitzuteilen. Es muss auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe enthalten, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Entscheidung über die Zurruhesetzung erforderlich ist. Danach muss das Gutachten sowohl die notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt, d.h. die in Bezug auf den Beamten erhobenen Befunde, darstellen als auch die aus medizinischer Sicht daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die Fähigkeit des Beamten, seinen dienstlichen Anforderungen weiter zu genügen (stRspr, BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – 2 C 16.12 – BVerwGE 148, 204 Rn. 31 sowie zuletzt Beschluss vom 13. März 2014 – 2 B 49.12 – juris Rn. 8 f.).
Ob die Auffassung des VG Ansbach (Urteil vom 24.10.2019 – AN 1 K 19.01083), im Reaktivierungsverfahren sei es „lediglich Aufgabe des Amtsarztes, zu überprüfen, ob eine Veränderung des Gesundheitszustandes des Klägers eingetreten ist, die zu einer Wiederherstellung der Dienstfähigkeit geführt hat“ und deshalb „die Begründungsanforderungen an ein amtsärztliches Gutachten, mit welchem in einem Ruhestandsversetzungsverfahren erstmals eine Dienstunfähigkeit festgestellt wird (vgl. hierzu: BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 2 C 37/13 -, juris), … insoweit nicht [gelten]“, steht auf einem anderen Blatt.
Martin Brilla
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht